Jurybegründungen Preisträgerinnen 2024
Österreichischer Buchpreis 2024
Reinhard Kaiser-Mühlecker
Brennende Felder
S. Fischer Verlag
Die Jury:
Die aufgrund der Hitze brennenden Felder in ihrer Nachbarschaft interessieren Luisa Fischer nicht weiter. Verbrannte Erde hinterlässt sie allerdings häufig. Unfähig zu Empfindungen, ist sie für ihre zwei Kinder von unterschiedlichen Vätern eine unzuverlässige Mutter. Der Kontakt zu ihrer eigenen Mutter bricht endgültig ab, als sie eine Beziehung mit ihrem Stiefvater eingeht. Als dieser bei einem Einbruch umgebracht wird, zieht es Luisa zu dessen Mörder. Von jedem neuen Mann erhofft sie sich, er möge sie aus ihrem tristen Alltag, aus ihrer Unzufriedenheit befreien. Aus einer Familie befreien, deren Mitglieder mit Sprachlosigkeit ringen, sich gegenseitig nicht trauen und dennoch nicht voneinander bzw. von der Gegend abkönnen.
Waren in „Fremde Seele, dunkler Wald“ (2016) und „Wilderer“ (2022) die Brüder im Fokus, so erzählt jetzt folgerichtig deren Schwester Luisa aus ihrer – und Reinhard Kaiser-Mühlecker erstmals aus weiblicher – Perspektive. Dabei sucht Luisa intensiv nach den richtigen Worten, will sie doch als Schriftstellerin gesehen werden. Im Gegensatz zu ihr schreibt Kaiser-Mühlecker verdichtet, einfach und knapp, in ruhigem Ton. Durch unerwartete Wendungen spielt er nicht nur mit seinen Figuren, sondern auch mit den Lesenden. So konstruiert und dekonstruiert er diese abgründige, kalte und düstere Welt immer wieder aufs Neue. Luisa hat recht, wenn sie dies in ihrer Romanfigur, einem alten Geizkragen spiegelt: „Es muss so sein, dass man denkt, man kennt ihn, und dass man bis zum Schluss an seiner Seite ist, aber da nicht mehr denkt, man kennt ihn.“
Österreichischer Buchpreis Debüt 2024
Frieda Paris
Nachwasser
Voland & Quist
Die Jury:
Frieda Paris’ Langgedicht „Nachwasser“ ist ein Wagnis. Wer schon traut sich mit dem Debüt auf die spiegelglatte Fläche autopoetischer Lyrik und poetologischer Reflexion, setzt sich ungeschützt aus? Paris. Sie erkundet das Schreiben beim Schreiben, zieht uns in diesen Prozess hinein, hält auf uns zu und stürzt – nicht. Angetrieben vom „Zweifell“ als „Schreiborgan“, begleitet vom Vogel ‚Lomeise‘ auf der „Schreibschulter“ findet das Ich reichhaltiges Wortmaterial, das es an seinem poetischen „Schneidetisch“ montiert. Es entstammt einem Eintauchen in viele Quellen, allen voran in den Nachlass Friederike Mayröckers, der „Großen Wortmutter“: ins Nach-wasser. Doch in diesem Making-of a Poem wird den Leser:innen in 110 Sequenzen noch weit mehr aufgefächert. Das Schreiben, das Wie-und-warum-Schreiben, das Dichterin-Werden von Kindheit an, Erinnerungsspuren von Liebe und Verlust werden gekonnt versetzt mit Fundstücken einzelner Wortväter von Paul Celan bis Peter Waterhouse, vor allem aber vieler Wortmütter, von Ingeborg Bachmann über und immer wieder Mayröcker bis Sarah Kirsch – und eine poetische Antwort auf die Frage gegeben: Was darf ein Gedicht? Alles.