Österreichischer Buchpreis

Jurybegründungen Preisträgerinnen 2023

Clemens J. Setz
Monde vor der Landung
Suhrkamp Verlag

Die Jury: „Clemens J. Setzs Roman „Monde vor der Landung“ erzählt das Leben eines Querdenkers „avant la lettre“, ohne dessen obskure Gedankenwelt lächerlich zu machen oder umgekehrt zu verharmlosen. Das Innenleben des Protagonisten Peter Bender, dessen historisches Modell in den 1920er Jahren relativ erfolgreich die sogenannte Hohlwelt-Theorie propagiert hat, wird in all seinen Schattierungen und sozialen Verästelungen offengelegt, aber niemals denunziert. Selbst in den offensichtlichen Unaufrichtigkeiten gegenüber seinen glühenden Anhängern sowie den Lieblosigkeiten gegenüber seiner eigenen Frau und seiner heimlichen Geliebten wirkt Bender menschlich und irgendwie sogar sympathisch. Angesichts der radikalen politischen Verwerfungen in den 1930er Jahren mit ihren viel tieferen ethischen Abgründen und Brutalitäten erscheint Benders verquere Weltsicht plötzlich gar nicht mehr so haarsträubend wie zunächst. Sein trauriges Schicksal und das seiner jüdischen Frau im Nationalsozialismus wird so fragmentarisch berichtet, wie sie überliefert sind, sodass stets Dezenz gewahrt bleibt. Die kulturell, historisch und sprachlich ausgesprochen sensible Erzählinstanz ergreift niemals Partei und legt kein Urteil nahe. Auf diese Weise können Leserinnen und Leser ihren eigenen Zugang in die komplexe Thematik entwickeln und das soziale Abtriften eines trotz allem einnehmenden Menschen „von Innen“ erleben.“

Arad Dabiri
Drama
Septime Verlag

Die Jury: „Die jüngere österreichische Literatur ist reich an großartigem Grauen, das durch die Provinz geistert. Stadtromane aber sind selten – und Großstadtromane mangels großer Städte noch rarer. „Drama“ von Arad Dabiri ist ein Großstadtroman. Wien wird zum Labyrinth – und zur zweiten Hauptdarstellerin der Erzählung. Die Stadt schnauft schwer. Sie ächzt und taumelt. Mit der regelmäßig prämierten „lebenswertesten Metropole der Welt“ teilt sich Dabiris Wien nur die schmucken Altbaufassaden und den Flughafen, an dem die Odyssee des Protagonisten ihren Ausgang nimmt. Er wollte und ging weg – und kommt zurück. Für eine räudige Nacht. Für einen Rausch ohne Reue. Er trifft auf echte und falsche, auf einstige und eingebildete Freunde. Er hört ihr zielloses Geseier und Geeiere. „Drama“ ist – natürlich – hochdramatisch: Eines kurzen Tages lange Reise in die Nacht. Und: „Drama“ ist Drama: großes Gossentheater, eine Schmierenkomödie über Szenekaiser und Gernegroße, über deren Sprüche und die in diesen Sprüchen verborgenen Sehnsüchte, Ängste und Abgründe. Dabiri spielt mit dem Theater als Form, von der Ouvertüre bis zum letzten Vorhang – ohne großes Theater darum zu machen. „Drama“ ist schnell und das, was man früher vielleicht „rotzig“ nannte. „Drama“ ist Satire und Suada, ein großes, sehr bewusstes und selbstbewusstes Spiel mit dem Spiel im Spiel – und auf verspielte Art ernst. Nach der Lektüre möchte man duschen. Und nach dem Duschen noch einmal „Drama“ lesen.“